In Karlsruhe blieben jetzt drei Verfassungsbeschwerden gegen das Waffengesetz ohne Erfolg. Antragsteller in diesen Verfahren waren allerdings nicht Waffenbesitzer, denen die Regelungen zu streng waren, sondern „normale“ Bürger, die sich schärfere Regelungen wünschten:

Das Bundesverfassungsgericht hat die drei Verfassungsbeschwerden gegen das geltende Waffengesetz, mit denen die Beschwerdeführer eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten rügen, gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts verletzt das Gesetz die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten. Dem Gesetzgeber kommt bei der Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger zu schützen, ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Seine Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann nur begrenzt nachgeprüft werden. Ein grundrechtlicher Anspruch der Beschwerdeführer auf weitergehende Maßnahmen würde die – vorliegend nicht zu treffende – Feststellung voraussetzen, dass die geltenden Regelungen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich wären.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer – vor dem Hintergrund des Amoklaufs eines ehemaligen Schülers in Winnenden – gegen das geltende Waffengesetz. Sie rügen eine Verletzung ihres Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) dadurch, dass das Waffengesetz tödliche Schusswaffen für den Schießsport erlaubt bzw. deren Gebrauch nicht ausreichend einschränkt. Das Waffengesetz habe in den vergangenen Jahren keinen ausreichenden Schutz vor diversen Mordserien mit privaten legalen Waffen geboten. Dies stelle ein verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers dar. Die Verschärfungen des Waffenrechts nach den Ereignissen von Winnenden seien nicht geeignet, solche Vorkommnisse künftig zu verhindern oder auch nur wesentlich zu erschweren.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Da die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben geklärt sind, kommt der Verfassungsbeschwerde keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde, selbst wenn man Zulässigkeitsbedenken zurückstellt, keine Aussicht auf Erfolg hat.
In seinem klassischen Gehalt schützt Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit vor staatlichen Eingriffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich das Grundrecht jedoch nicht in einem subjektiven Abwehrrecht gegenüber solchen Eingriffen. Aus ihm ist vielmehr auch eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe für das geschützte Rechtsgut abzuleiten, deren Vernachlässigung von dem Betroffenen grundsätzlich mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann[1]. Die Schutzpflicht gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren[2]. Eine solche Schutzpflicht besteht auch hinsichtlich der Missbrauchsgefahren, die vom Umgang mit Schusswaffen ausgehen[3].
Bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt jedoch ein weiter Einschätzungs, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu[4]. Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann nur begrenzt nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung der Schutzpflicht daher nur dann feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen[5].
Nach diesem Maßstab können die Vorschriften des Waffengesetzes, die den Umgang mit Waffen und Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung regeln (§ 1 Abs. 1 WaffG), von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.
Das Schutzkonzept des Waffengesetzes beruht im Kern auf der Erlaubnispflichtigkeit des Umgangs mit Schusswaffen, soweit dieser nicht gänzlich verboten ist. Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis sind grundsätzlich die Volljährigkeit des Antragstellers, dessen Zuverlässigkeit und persönliche Eignung sowie der Nachweis der erforderlichen Sachkunde und eines Bedürfnisses (§§ 4 ff. WaffG). Zum Nachweis eines Bedürfnisses müssen gegenüber den Belangen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung besonders anzuerkennende, persönliche oder wirtschaftliche Interessen glaubhaft gemacht werden (§ 8 WaffG). Für Sportschützen wird diese Voraussetzung in § 14 Abs. 2 bis 4 WaffG näher konkretisiert. Den – mit der Verfassungsbeschwerde besonders gerügten – Erwerb und Besitz von großkalibrigen Schusswaffen durch Sportschützen hat der Gesetzgeber in § 14 Abs. 1 WaffG an das Erreichen eines erhöhten Mindestalters von 21 Jahren geknüpft. Verstöße gegen die Erlaubnispflicht sind mit Strafe bedroht (§ 52 WaffG).
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber Vorkehrungen zur Verhinderung des Zugangs Unbefugter zu Waffen und Munition getroffen, indem er ein – ebenfalls strafbewehrtes – Verbot der Überlassung von Waffen oder Munition an nicht berechtigte Personen statuiert (§ 34 WaffG) sowie eine sichere Aufbewahrung von Waffen und Munition angeordnet (§ 36 WaffG) hat. Verstöße gegen die Aufbewahrungsvorschriften hat er allgemein als Ordnungswidrigkeiten und unter verschärften Voraussetzungen als Straftat sanktioniert (§ 53 Abs. 1 Nr.19, § 52a WaffG).
Einzelne Vorschriften aus den skizzierten Normkomplexen hat der Gesetzgeber erst als Reaktion auf die Amokläufe von Erfurt und Winnenden eingeführt oder verschärft[6].
Bei dieser Rechtslage lässt sich weder feststellen, dass die öffentliche Gewalt überhaupt keine Schutzvorkehrungen gegen die von Schusswaffen ausgehenden Gefahren getroffen hat, noch, dass offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen in ihrer Gesamtheit gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich wären, um die Allgemeinheit vor den Gefahren des missbräuchlichen Umgangs mit Schusswaffen zu schützen. Angesichts des dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten zukommenden weiten Einschätzungs, Wertungs- und Gestaltungsspielraums steht den Beschwerdeführern ein grundrechtlicher Anspruch auf weitergehende oder auf bestimmte Maßnahmen wie das Verbot von Sportwaffen nicht zu.
Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 23. Januar 2013 – 2 BvR 1645/10, 2 BvR 1676/10, 2 BvR 1677/10
- vgl. BVerfGE 77, 170, 214; 77, 381, 402 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 49, 89, 141 f.; 53, 30, 57; 56, 54, 73[↩]
- vgl. BVerfGK 1, 95, 98[↩]
- vgl. BVerfGE 77, 170, 214[↩]
- vgl. BVerfGE 56, 54, 80 f.; 77, 381, 405; 79, 174, 202; stRspr[↩]
- vgl. das Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts, WaffRNeuRegG vom 11.10.2002, BGBl I S. 3970 und das Vierte Gesetz zur Änderung des Sprengstoffgesetzes vom 17.07.2009[↩]